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Pablos Paradiese

Medellín

Diese Stadt hat auf den ersten Blick nichts mehr von ihrem alten berüchtigtem Image als Kokain-Kartell-Kapitale und hochkriminelles Pflaster. Sie präsentiert sich als hochmoderne pulsierende Metropole, Heimat vieler Softwarefirmen, Einkaufszentren, Künstler- und Ausgehviertel und als scheinbar sorglos sichere Stadt – vom verrückten Verkehr mal abgesehen. Auch Einheimische versichern uns das, sind doch für sie seit ca. 30 Jahren die blutigen Zeiten des Drogen-Mafiosos und Kartell-Königs Pablo Escobar vorbei.

Wir lassen uns also darauf ein, gehen mittags in den Food-Tempel und abends entspannt zum Essen aus. Als erste Sehenswürdigkeit wollen wir uns den Plaza Botero ansehen, auf dem neben dem Nationaldenkmal und Kulturpalast 23 Skulpturen des kolumbianischen Künstlers Fernando Botero frei zugänglich sind.

Schon auf der Hinfahrt fielen uns in dem angrenzenden geschäftigen Kleinhandels-Viertel viele ,vor Dreck starrende, Drogensüchtige auf, die hier, inmitten des Treibens, in ihrem Elend Drogenpfeifen mit einer synthetischen Kokainvariante konsumieren. Zum Schlafen legen sich dann die armen Gestalten später auf die weichen Grünflächen der Plaza Botero. Nachdem ich die meisten Skulpturen abfotografiert habe, finde ich Thomas mit stoischer Mine auf einer Parkband sitzend vor, direkt neben einem Pärchen, das voll gedröhnt streitet. Polizei ist hier ausnahmsweise weit und breit keine zu sehen. Drogenprobleme sind auch in europäischen und deutschen Großstädten Alltag, wir stoßen nur plötzlich und unerwartet direkt vor einer der wichtigsten kulturellen Sehenswürdigkeiten der Stadt darauf und sind deswegen etwas geschockt.

Wir wollen diesem Ort entfliehen und als Nächstes in den botanischen Garten, der auch auf Grund seiner Orchideen außergewöhnlich sein soll. Glücklicherweise steht hier ein einziges Taxi gerade herum und wir nehmen die Gelegenheit wahr anstatt zum botanischen Garten zu laufen. Der Mimik des Fahrers entnehme ich, dass dies womöglich keine gute Idee sei und auf Nachfrage bestätigt er, dass dort die gleichen Zustände herrschen. Also kein botanischer Garten…

Stattdessen machen wir anderentags eine Besichtigung der Comuna 13. Ursprünglich wurde dieses, am Hang liegende, Viertel von Bauern besiedelt, die vor dem Krieg in den ländlichen Gebieten Kolumbiens geflohen waren. In den 80er Jahren entwickelte sich das unzugängliche Viertel mit seinen vielen Gassen zu einem beliebten Umschlagplatz für Drogen. Es wurde auch die Wiege Pablo Escobars genannt, da er aus den Bewohnern dort sein „Personal“ rekrutierte, für das dies meist den einzig möglichen sozialen Aufstieg bedeutete. Es war Zentrum des Terrors, in der sich Escobars Leute, Paramilitärs und das Militär gegenseitig aufrieben. Auch nach seinem Tod 1993 ging die Gewalt im Viertel weiter, weil sich die Paramilitärs mit anderen Banden um dessen Vorherrschaft stritten.

2002 schließlich griff der Staat mithilfe des Militärs hart durch und es gab viele Tote und Verschwundene unter den Bandenmitgliedern und Bewohnern. Der Staat und die Stadt Medellín unterstützte danach die Integrierung dieses sozialen Brandherdes an den Rest der Stadt, indem Rolltreppen und Gondeln gebaut und soziale Projekte gefördert wurden. Der Bevölkerung gelang damit und ihrem eigenen Kraftakt, das ehemals gefährlichste Viertel dieser ehemals gefährlichsten Stadt der Welt zu wandeln. Heute haben sich dort viele Street-Art-Künstler angesiedelt und Graffitis laden neben Open-Air-Darbietungen, lauter Musik, Ateliers, Souvenirgeschäften und unzähligen Lokalen zum Spaziergang und „sicherem Staunen“ ein. Man kann auch geführte Touren buchen bzw. dort vor Ort sich einen privaten Guide für kleines Geld mieten, der die Geschichte dieses „Barrios“ erzählt.

El Peñol

Nur ca. 60 km westlich von Medellín liegt ein weiteres beliebtes Ausflugsziel Kolumbiens – ein 220 m hoher Granit-Monolith, den man in etwa 700 Treppenstufen ersteigen kann um von oben den herrlichen Ausblick auf die umgebenden Inseln des angrenzenden Stausees zu genießen. Der Stausee selbst bietet sportliche Wasseraktivitäten und an den Ufern stehen viele betuchte Villen. Wir schippern auf einem Touri-Schiff etwas herum und sehen auch die verwaisten Häuser Escobars, die dort noch als Privatbesitz stehen.

Guatapé

Unweit befindet sich auch das Dorf Guatapé. Der ursprünglich einfache Ort musste einst wegen des Stausee geflutet werden und die Bewohner wehrten sich lange dagegen. Nun ist es, neu aufgebaut, vor Allem wegen seiner malerischen großen Zementleisten an den Häusersockeln bekannt und lebt heute hauptsächlich von den immensen Einnahmen des nationalen und internationalen Tourismus. Die Sockel sind nicht nur als Muster, sondern oft auch als Bilder gestaltet und erzählen von der lokalen Umgebung, Leben oder Beruf des Hausbesitzers.

So gesättigt ob Kultur und Besichtigungen schwingen wir uns wieder auf die Motorräder Richtung Karibik. Vorbei an grünen Landschaften mit noch grüneren Bergen und samtigen Hügeln, Palmen, Zuckerrohr, Bananenstauden, kleinen und größeren Orten mit bunten Ständen voller Leben – gleichwohl ohne Hektik, ist die Strecke oft kurvig und bietet tolle Aussichten, aber dann leider meist einspurig und stark befahren, so dass man sich auf das Überholen der Laster konzentrieren muss.

Wir sehen auch einige venezolanische Flüchtlinge, die mit ihrem gesamten Hab und Gut auf dem Rücken, im Koffer oder im Kinderwagen entlang der Straßen ziehen und auch fordernde Jugendliche, die uns mitten auf der Straße den Weg versperren wollen. Wir fahren durch, denn ganz ungefährlich ist Kolumbien immer noch nicht. Wir haben einen deutschen Motorradfahrer kennen gelernt, der, auf einer Seitenstraße, von einer der vielen noch existierenden Guerilla-Splittergruppen mit Waffengewalt vom Motorrad geholt und auf den geschossen wurde. Er entkam nur knapp. Wir bleiben daher auf Hauptstraßen und meiden bekannte Guerilla-Gebiete.

Unser Übernachtungs-Hotel auf der Strecke ist auch zugleich Stützpunkt der Drogenpolizei – besser wurden unsere Motorräder nie bewacht.

Je weiter wir in den Norden und damit auch in Karibiknähe kommen, wird es knallheiß, die Straßen und Ortschaften vermüllen und die Menschen sind sichtbar ärmer. Wir fahren durch, bis wir ein geeignetes Plätzchen am Strand finden. Das nächste Ziel heißt Cartagena.

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Ernüchternd und dennoch ins Land lockend. Diese Gratwanderung is Dir mit diesen Zeilen wirklich gut gelungen, Rita. Danke für einen weiteren Spanneden Bericht von Euer Mammutreise um die Welt. Liebe Grüße Alex